Neuroplastizität, Elternregulation und Neurodermitis
Unser Gehirn ist plastisch. Diese Erkenntnis verändert, wie wir Entwicklung verstehen. Der Neurowissenschaftler Andrew Huberman von der Stanford University beschreibt es so: „Wir können unser Gehirn ein Leben lang verändern und formen.“ Genau darum geht es, wenn wir über Neuroplastizität, Elternregulation und Neurodermitis sprechen.
Auch ein empfindsames oder überreiztes Nervensystem kann neue Bahnen bilden. Veränderung ist nicht die Ausnahme, sondern die Grundfähigkeit unseres Organismus. Das Gehirn reagiert auf Erfahrung, Beziehung und Aufmerksamkeit. Und nirgendwo geschieht das so deutlich wie in der frühen Eltern-Kind-Beziehung – oder bei Stressreaktionen, die sich auf der Haut zeigen, wie bei Neurodermitis.
Das innere Gleichgewicht verstehen
Daniel Siegel beschreibt mit dem Begriff „Window of Tolerance“ den Bereich, in dem unser Nervensystem in Balance bleibt. Innerhalb dieses Fensters sind wir aufmerksam, offen und handlungsfähig. Jenseits davon geraten wir in Stress: Entweder in Übererregung – dann werden wir unruhig, angespannt, gereizt – oder in Untererregung, in der wir uns zurückziehen, abschalten oder taub werden.
Kinder mit sensiblen Nervensystemen erleben diese Zustände häufig. Sie spüren mehr, verarbeiten intensiver und reagieren schneller. Geräusche, Konflikte, Licht, Spannung in der Familie – alles wird unmittelbar aufgenommen. Das Nervensystem steht unter Dauerfeuer, die Haut reagiert, der Schlaf leidet. Neurodermitis kann durch chronischen Stress verstärkt werden, weil Nervensystem, Haut und Immunsystem eng verbunden sind. Doch Regulation lässt sich lernen.
Und dieser Lernprozess geschieht nicht durch Worte, sondern durch Resonanz.
Elternregulation als Resonanzfeld
Das kindliche Nervensystem orientiert sich am Nervensystem der Bezugspersonen. Eltern sind gewissermaßen das äußere Nervensystem des Kindes, bis es seine eigene Regulation entwickelt hat. Wenn Eltern beginnen, sich selbst zu beruhigen, achtsam zu atmen, innezuhalten und präsent zu sein, senden sie Signale von Sicherheit aus.
Diese Signale werden vom Körper des Kindes gelesen. Ohne Worte. Über den Rhythmus des Atems, den Tonfall, die Haltung, den Blick. Das Kind spürt: Hier ist Ruhe. Hier ist Halt.
So dehnt sich das Window of Tolerance. Das kindliche Gehirn lernt, dass Reize nicht gefährlich sind. Gefühle dürfen sich zeigen, ohne dass die Beziehung zerbricht. Genau hier wird Neuroplastizität und Elternregulation sichtbar: neue neuronale Wege entstehen, die mit Sicherheit und Verbindung verknüpft sind. Ein reguliertes Nervensystem kann auch körperliche Symptome wie Neurodermitis positiv beeinflussen.
Neue Bahnen im Gehirn
Neuroplastizität bedeutet, dass sich neuronale Verbindungen durch wiederholte Erfahrung verändern. Jeder bewusste Moment, in dem ein Elternteil ruhig bleibt, anstatt impulsiv zu reagieren, hinterlässt eine Spur. Das Gehirn des Kindes speichert diese Erfahrung als neue Möglichkeit: „Ich kann fühlen, ohne überfordert zu sein.“
Wiederholung macht diese Bahnen stärker. So wie ein Trampelpfad im Wald durch häufiges Gehen zu einem Weg wird, formen sich im Gehirn stabile Strukturen. Sicherheit wird zu einem inneren Zustand. Das Nervensystem gewinnt an Flexibilität, es kann sich schneller regulieren und leichter zur Ruhe kommen – ein entscheidender Faktor bei Neuroplastizität, Elternregulation und Neurodermitis.
Achtsamkeit als Weg der Integration
Achtsamkeit ist keine Mode, sondern eine neurobiologische Fähigkeit. Sie bedeutet, wahrzunehmen, was geschieht, ohne sofort darauf zu reagieren. Wenn Eltern lernen, sich selbst zu beobachten – ihre Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen – entsteht ein Raum zwischen Reiz und Handlung. Dieser Raum ist der Ort, an dem Integration geschieht.
Daniel Siegel spricht von Integration als dem Zusammenführen von Teilen, die zuvor getrennt waren. Wenn wir Denken und Fühlen verbinden, Körper und Geist, Vergangenheit und Gegenwart, entsteht innere Kohärenz. Das Gehirn arbeitet geordnet, der Körper reagiert ruhiger, das Herz schlägt gleichmäßiger.
Eltern, die diese Fähigkeit pflegen, werden zu einem stabilen Bezugspunkt. Ihr Kind spürt, dass es in Kontakt bleiben darf, selbst wenn etwas schwierig ist. So entsteht das, was Siegel „mindsight“ nennt – die Fähigkeit, das eigene und das innere Erleben anderer zu verstehen und zu halten.
Der kleine Anfang, der alles verändert
Ein einziger bewusster Moment kann den Unterschied machen. Wenn du spürst, dass dein Kind unruhig ist, halte kurz inne. Atme ruhig. Spüre deine Füße auf dem Boden. Lass deinen Blick weich werden. Dein Nervensystem sendet jetzt Sicherheit aus.
Das Nervensystem deines Kindes empfängt diese Signale. Es lernt, dass Ruhe möglich ist, auch wenn Spannung da ist. Über viele solcher Erfahrungen entstehen neue neuronale Verknüpfungen. Das ist Neuroplastizität und Elternregulation in der Praxis – und es stärkt langfristig auch das körperliche Wohlbefinden, etwa bei Neurodermitis.
Vom Überleben zum Erleben
Ein reguliertes Nervensystem ist die Grundlage für Entwicklung, Lernen und Beziehung. Kinder, die Sicherheit erleben, können ihre Umwelt neugierig erkunden. Sie müssen nicht länger mit allen Sinnen Gefahren suchen. Das System wechselt vom Modus des Überlebens in den Modus des Erlebens.
Wenn Eltern ihre eigene Regulation ernst nehmen, entsteht nicht nur Gelassenheit. Es wächst Vertrauen in sich selbst, in Beziehung und in den Körper.
Neuroplastizität, Elternregulation und Neurodermitis sind keine getrennten Themen. Sie zeigen, wie eng Körper, Gehirn und Beziehung miteinander verflochten sind. Veränderung geschieht in jedem Moment, in dem wir wach sind für das, was in uns und zwischen uns geschieht. Und jedes Mal, wenn wir uns beruhigen, helfen wir unserem Kind, sich selbst zu beruhigen.




