Neurodermitis, eine „unbewusste“ Krankheit

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Das Eisbergmodell geht auf Sigmund Freud zurück. Nur ein kleiner Teil des Eisbergs ist sichtbar – zehn bis zwanzig Prozent. Der weit größere Teil liegt unter der Wasseroberfläche, unsichtbar und doch entscheidend für das Ganze. Überträgt man dieses Bild auf den Menschen, stehen die sichtbaren Anteile für das, was bewusst und rational erfassbar ist. Der unsichtbare Teil repräsentiert das Unbewusste – Gefühle, innere Haltungen, Bedürfnisse und Erfahrungen, die zwar nicht sichtbar sind, aber unsere Wahrnehmung und unser Verhalten steuern.

Wendet man dieses Modell auf eine Erkrankung wie Neurodermitis an, wird das Prinzip deutlich. Die sichtbare Spitze des Eisbergs zeigt sich in den Symptomen: Rötung, Juckreiz, Entzündung, Hautausschlag. Diese Ebene nennen wir die Sachebene. Sie ist das, was die Medizin behandelt, analysiert und dokumentiert. Dermatologen, Kinderärzte und Heilpraktiker arbeiten auf dieser Ebene, sie behandeln die sichtbaren Folgen. Oft erfolgreich, doch meist nur vorübergehend. Denn die Symptome tauchen wieder auf, sobald der unter der Oberfläche liegende Teil unbeachtet bleibt.

Der unsichtbare Teil der Krankheit

Der unsichtbare Teil des Eisbergs besteht aus psychischen und sozialen Prozessen. Hier liegen die emotionalen Spannungen, die Kommunikation in der Familie, unausgesprochene Sorgen, alte Erfahrungen und innere Konflikte. Diese unbewussten Schichten beeinflussen den Verlauf der Krankheit oft stärker als alles, was an der Oberfläche sichtbar ist.

Die körperorientierte Medizin richtet ihren Blick auf das Biologische, selten auf das, was im Inneren und im Zwischenmenschlichen geschieht. Doch gerade dort, im Bereich der unbewussten Resonanz, finden sich oft die Schlüssel zur Veränderung. In meiner Arbeit richte ich die Aufmerksamkeit auf diese Ebenen – auf die psychosozialen und emotionalen Dynamiken, die das System des Kindes prägen. Wenn es gelingt, hier Balance zu schaffen, kann die überreizte Sensibilität, die dem Juckreiz und den Hautekzemen zugrunde liegt, sich beruhigen.

Heilung beginnt dann nicht auf der Haut, sondern in der Beziehung.

Kommunikation zwischen Mutter und Kind

Ein wesentlicher Bestandteil meiner Arbeit ist die Betrachtung der Kommunikation zwischen Mutter und Kind. Auf der Sachebene ist sie das, was wir sagen. Doch bei kleinen Kindern spielt das gesprochene Wort nur eine untergeordnete Rolle. Kommunikation findet über Berührung, Blickkontakt, Mimik, Tonfall, Atemrhythmus und Stimmung statt. Sie ist ein nonverbaler Austausch zwischen Nervensystemen.

In der frühen Kindheit ist Resonanz das eigentliche Kommunikationsmedium. Das Kind fühlt, was die Mutter fühlt. Es nimmt ihre innere Haltung auf, noch bevor es Worte versteht. Man könnte sagen: Das Kind liest den emotionalen Zustand der Mutter wie eine Landkarte, um sich in der Welt zurechtzufinden.

Ein Baby kommt ohne klares Selbstbild auf die Welt. Es erfährt sich selbst durch die Spiegelung seiner Bezugspersonen. Wenn die Mutter lächelt, entsteht im Kind ein Gefühl von Sicherheit. Wenn die Mutter angespannt oder traurig ist, spürt das Kind diese Spannung unmittelbar. Die Bezugspersonen fungieren als „externes Selbst“. Durch sie lernt das Kind, was es bedeutet, sich sicher oder unsicher, geborgen oder bedroht zu fühlen.

Unbewusste Resonanz

Diese unbewusste Gefühlsvermittlung geschieht über das System der Spiegelneuronen. Sie ermöglichen es, die Emotionen anderer Menschen intuitiv nachzuvollziehen. Wir spüren, was der andere spürt – auch ohne Worte. Auf diese Weise entsteht ein stilles Mitschwingen, das die Grundlage von Empathie und Bindung bildet.

Für ein Kind mit Neurodermitis bedeutet das: Wenn die Mutter angespannt, erschöpft oder besorgt ist, registriert das Kind diesen Zustand unmittelbar. Es nimmt die emotionale Atmosphäre auf und verarbeitet sie körperlich. Erfahrungen verwandeln sich in Biologie. Gefühle werden zu Hautreaktionen, Spannungen zu körperlichen Mustern.

Deshalb ist das Wohlbefinden der Mutter kein „Nebenschauplatz“, sondern Teil der Behandlung. Wenn die Mutter sich selbst stabilisiert, reguliert und innerlich beruhigt, entsteht im Kind ein neuer Resonanzraum. Das Nervensystem kann sich orientieren, der Körper kann loslassen.

Positive Resonanz als Heilungsimpuls

Wenn die Hauptbezugsperson – meist die Mutter – von Sorge und Schuldgefühlen erfüllt ist, prägt sich diese Stimmung in das Kind ein. Die unbewusste Botschaft lautet dann: „Etwas stimmt nicht mit mir.“
Doch wenn die Mutter Vertrauen, Zuwendung und Akzeptanz vermittelt, entsteht eine andere Resonanz. Das Kind spürt: „Ich bin in Ordnung, ich bin sicher, ich darf mich entwickeln.“

Diese Form der Resonanz wirkt wie ein Gegengift gegen Stress. Sie beruhigt das autonome Nervensystem, reduziert die Ausschüttung von Stresshormonen und fördert Selbstregulation. So wird die emotionale Haltung der Mutter zu einem biologischen Wirkfaktor.

Das bedeutet nicht, dass eine Mutter immer ruhig, gelassen und stark sein muss. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Bewusstheit. Darum, zu bemerken, was in einem selbst geschieht, und mit sich in Kontakt zu bleiben. Auch kleine Momente der Selbstfürsorge, ein kurzer Atemzug, ein Spaziergang, ein ehrliches Gespräch können genügen, um die eigene innere Balance zu stärken.

Das Kind spürt diese Veränderung. Jede gelöste Anspannung, jedes Gefühl von Vertrauen überträgt sich.

„Du kannst gesund werden – und ich bin an deiner Seite“

Diese Haltung bildet den Kern der heilsamen Resonanz. Sie vermittelt dem Kind Zuversicht, ohne etwas zu beschönigen. Es geht nicht darum, die Krankheit zu verdrängen, sondern darum, den Blick zu erweitern. Das Kind ist nicht die Krankheit. Es ist ein ganzer Mensch, mit Humor, Kreativität, Willen und Empfindsamkeit.

Die Art, wie wir mit einem Kind über seine Erkrankung sprechen – oder auch ohne Worte mit ihm in Verbindung treten – beeinflusst, welches Selbstbild es entwickelt. Fühlt es sich als Patient oder als jemand, der wachsen und gesunden kann?

Die Resonanz, die wir aussenden, wird zu einem stillen inneren Programm. Sie wirkt wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn die Mutter denkt und fühlt: „Du kannst gesund werden, ich begleite dich“, entsteht im Kind eine körperlich spürbare Hoffnung.

Die entscheidende Frage

Am Ende steht immer dieselbe Frage:
Worauf richtet sich unsere Aufmerksamkeit – auf die Krankheit oder auf die Gesundheit?

Diese Frage entscheidet darüber, welche Resonanz im System wirkt. Wenn die Aufmerksamkeit immer wieder liebevoll auf das Kind selbst gelenkt wird, auf seine Ressourcen, seine Lebendigkeit, seine Freude, kann Heilung beginnen.

Gesundheit wächst dort, wo Beziehung lebendig bleibt, wo Resonanz nährt und wo Bewusstheit die Oberfläche durchdringt – bis tief unter das Wasser des Eisbergs.

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2 Kommentare zu „Neurodermitis, eine „unbewusste“ Krankheit“

  1. Hallo, wir befassen uns auch wegen der Neurodermitis unserer Kinder mit dem Thema und ich muss sagen die angesprochenen Fokussierung ist grundsätzlich ein großes Problem mit dem wir schwer umgehen können. Es hilft hin und wieder mal etwas Abstand zu haben und das mal von Außen zu betrachten, was aber nicht einfach ist.
    Liebe Grüße

  2. Hallo,
    ja, das stimmt. Es ist nicht einfach und auch nur ein Punkt, der isoliert betrachtet sich so anfühlt, als würde über all die Sorgen ein Pflaster geklebt werden und darunter eitert es weiter.
    Es benötigt viele Schritte:
    1. Eine gute medizinische, körperliche Versorgung des Kindes durch einen Arzt.
    2. Einen situationsgerechten Umgang mit einem chronisch kranken Kind.
    3. Die Einbettung der Krankheit in einen Kontext.
    4. Eltern, die positiv und hoffnungsvoll sind und das Kind ressourcenorientiert begleiten.
    Werden diese Wege isoliert von einander gegangen, wird es meist nicht rund.

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